Leseprobe - Kapitel 5: Das Schicksal setzt den Schobel an

Ein Siebenbürger sprang im „Rössle“ aus dem Fenster und führte den TuS Hofweier zur deutschen handball-Vizemeisterschaft

Es gibt Tage, an denen gelingt alles. Und es gibt die Tage, die anders ausgehen. Für den TuS Hofweier war der 12. Mai 1979 ein ganz anderer.

Hofweier, das Handballdorf vom Oberrhein. „2500 Menschen, 14 Rinder, 23 Ziegen, 210 Hühner und ein Pferd“, hatte die „Bild“-Zeitung gelästert, als 1974 alles begann. Nicht einmal fünf Jahre später, griff dieser TuS Hofweier nach den Sternen, nach der deutschen Meisterschaft im Handball. Und das alles mit eigenen Leuten oder mit solchen, die rund um Hofweier in der Ortenau heimisch waren.

So wie Simon Schobel, der Chef auf dem Platz, das Sprungwurfmonster aus dem Rückraum. Oder Arno Ehret, der beste Linksaußen der Welt. Und Gerd Leibiger, ein Wirbelwind und Strippenzieher auf dem Feld. Dazu Armin Emrich mit List, Lust und Köpfchen.

Der TuS Hofweier und die deutsche Handballmeisterschaft: Das war so ähnlich, als würde der 1. FC Heidenheim Anlauf nehmen, dem FC Bayern und Borussia Dortmund die Salatschüssel streitig zu machen.

Einer der Großen, der VfL Gummersbach, war bereits aus dem Weg geräumt. Nur zwei Siege fehlten Hofweier noch zur ultimativen Sensation: In Göppingen und, falls das klappen sollte, dann am letzten Spieltag in einem lupenreinen Endspiel gegen Tabellenführer TV Großwallstadt, den amtierenden Europapokalsieger der Landesmeister.

Zwei Siege also noch. So wenig. Und doch so viel.

Überall liefen die Wetten. Und der Run auf die Karten für das Spiel der Spiele gegen Großwallstadt in der Offenburger Ortenauhalle erreichte nie dagewesene Dimensionen.

Aber das Nadelöhr war Göppingen.

Frischauf Göppingen, der Erzrivale im Kampf um die Vorherrschaft im „Ländle“. Es lagen zwar 189 Kilometer zwischen dem Dorf Hofweier und der schwäbischen Kleinstadt nordöstlich von Stuttgart, doch es war Schalke gegen Dortmund im Taschenformat – das Duell „Badenser“ gegen „Sauschwoba“. Keiner konnte den anderen riechen, von gönnen ganz zu schweigen.

Also war klar: Göppingen hatte als Tabellenvierter mit deutlichem Rückstand zur Spitze nur noch ein Saisonziel: Die Meisterschaft des TuS Hofweier zu verhindern, zu vernichten, kaputtzumachen – koste es, was es wolle.

Der Showdown beginnt am 12. Mai 1979 um 19:30 Uhr in der Hohenstaufenhalle. Die ist ein berühmt-berüchtigter Kessel der Emotionen. Den langen Korridor hinter den Kabinen nennen sie den „Laufsteg der Leidenschaften“. Verschwitzte Spieler ziehen dort schon in der Pause hektisch an Zigaretten. Aus Wut und vor lauter Frust zugeknallte Türen krachen mit einer Vehemenz ins Schloss, dass die Bude wackelt.

An diesem Abend ist die Atmosphäre noch aufgeheizter als sonst. 5500 Zuschauer füllen die Halle bis zum Bersten. 1000 davon sind mit Bussen und Autos aus der Ortenau angereist. Es geht um die Wurst. Das ist allen klar wie Kloßbrühe.

Vom Anpfiff weg sind ungezügelte Aggressionen im Spiel. Fäuste, Knie, Bodychecks – das komplette Besteck, das auf dem Handballfeld nichts zu suchen hat. Es gibt Nickligkeiten im Minutentakt. Zwei Drittel der ersten Hälfte geht das so.

Dann explodiert das Ganze. Max Müller, im richtigen Leben Polizist und bei FA Göppingen der Mann fürs Grobe, schlägt Armin Emrich auf die erst zwei Wochen zuvor gebrochene Nase. Der Hofweierer flippt aus, wenn auch nur verbal. Und kassiert dafür eine Zeitstrafe. Doch Müller darf weiterspielen. Allerdings nur drei Minuten. Dann streckt ihn der Hofweierer Franz Bechler zu Boden. Der Stuttgarter „Sportbericht“ beschreibt diese Szene anschließend so: „Müller wurde Opfer eines K.o.-Schlages, mit dem Franz Bechler wahrscheinlich bei den Box-Amateuren in Köln Europameister geworden wäre.“ Müller lässt sich vom Platz tragen, mischt aber nach der Pause wieder mit.

Es kommt noch schlimmer. Die 40. Minute: Arno Ehret ist beim Gegenstoß durchgebrochen, hebt ab und fliegt in den Göppinger Kreis. FAG-Keeper Peter Jaschke springt ihm entgegen wie ein Karatekämpfer und trifft den Hofweierer mit der Fußspitze am Kopf. Eine kriminelle Aktion. Ehret liegt regungslos am Boden und blutet aus einer Wunde nahe dem Ohr.

Er braucht lange, bis er wieder auf wacklige Beine kommt. Doch er spielt weiter. Als der Schlusspfiff dieser Schlägerei mit Ball endlich ein Ende gemacht hat, fragt Arno Ehret: „Wie steht’s?“ Das ist der Moment, in dem der Göppinger Mannschaftsarzt den Notruf 110 wählt. Ehret muss sofort ins Krankenhaus.