Leseprobe - Kapitel 12: Über sieben Brücken

Dieter Eckstein überstand sechs Schicksalsschläge, machte sieben Länderspiele und gehört zur Jahrhundert-Elf des 1. FC Nürnberg

Da Aufgeben für ihn zu keiner Zeit in seinem Leben eine Option war, ging der Ex-Nationalspieler und frühere Bundesligaprofi Dieter Eckstein den nächsten, im Leben eines Fußballers logischen Schritt: Er wurde Spielertrainer. In dieser Rolle nahm er im Frühjahr 2000 mit dem TSV Neusäß, einem Bezirksoberligisten vor den Toren von Augsburg, an einem Hallenturnier teil. Bei einem Kopfballduell wurde „Eckes“ abgeräumt und prallte mit dem Rücken und Steißbein auf den harten Hallenboden. So heftig, dass ihm die Luft wegblieb und er für einen Moment ohnmächtig war.

Trotzdem spielte er das Turnier zu Ende und winkte zunächst auch die plötzlichen Bauchschmerzen bedenkenlos durch. „So was gibt’s immer mal. Dann trinkst du halt einen Schnaps oder nimmst ein Medikament.“

Diesmal war es anders. Nach drei Tagen tat der Bauch immer noch weh. Eckstein suchte den Vereinsarzt auf. Ultraschall, Blutabnahme – das übliche. Zwei Tage später der Anruf: „Dieter, deine Blutwerte gefallen mir nicht. Lass‘ dich in Augsburg im Klinikum durchchecken!“

Eckstein befolgte die Anweisung. Zwei Tage lang wurde er untersucht. Dann war Freitagabend, und der Arzt in Augsburg sagte: „Wir haben noch nicht alle Ergebnisse. Sie können erst mal nach Hause, aber am Montagmorgen kommen Sie wieder!“

Der Erholungswert des Wochenendes tendierte gegen null. Zwar ließen die Bauchschmerzen infolge neuer Medikamente nach, aber Eckstein ahnte, dass was im Argen lag.

Am Montag um 10 Uhr stand er wieder auf der Matte. Die Dame an der Anmeldung sagte: „Siebter Stock, Sie werden schon erwartet.“ Dann fragte sie noch: „Haben Sie keine Tasche dabei?“

Eckstein schüttelte nur den Kopf. Mit einem stationären Aufenthalt hatte er nicht gerechnet.

Im Fahrstuhl drückte er die „7“ – und da stand: Onkologie, Radiologie. „Siebter Stock, scheiße …“, dachte er. Oben angekommen, stellt er sich im Schwesternzimmer vor: „Ich soll mich melden wegen der Ergebnisse.“

„Ja, Herr Eckstein. Ihr Zimmer ist schon fertig“, lautete die Antwort.

„Wie? Mein Zimmer ist schon fertig? Es hieß nicht, dass ich bleiben muss.“

„Doch“, sagte die Krankenschwester ganz ruhig, „Sie werden stationär aufgenommen. Hat Sie noch niemand kontaktiert?“

Eckstein verneinte und wurde auf Zimmer 734 geschickt. Mit dem Hinweis: „Die Ärzte kommen gleich.“ Als er hörte, dass nicht nur ein Arzt kommt, wusste er: Da stimmt was nicht.

Er setzte sich aufs Bett. Nach einigen Minuten betraten drei Ärzte das Zimmer. „Jeder machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.“ Ein Urologe war dabei, auch ein Onkologe.

„Herr Eckstein, wie lange haben Sie die Probleme schon?“, fragte der Urologe.

„Seit dem Hallenturnier vor einer Woche.“

Dann sagte der Urologe: „Sie haben Krebs.“

Diese drei Worte trafen Dieter Eckstein wie eine krachende Rechte ans Kinn. „Wie Krebs …? Was für einen Krebs?“, fragte der 36-Jährige entgeistert.

„Hodenkrebs“, fuhr der Urologe fort, erklärte kurz was dazu und legte die nächste Hiobsbotschaft nach: „Auch im Bauchraum sieht es nicht gut aus. Da haben sich schon Metastasen gebildet.“

Die Ärzte erklärten dem geschockten Eckstein, dass der Krebs seinen Körper schon längere Zeit befallen hatte. Ohne Beschwerden zu verursachen. Hodenkrebs könne sich verstecken, so dass er im Ultraschall nicht zu erkennen sei. Durch den heftigen Aufprall auf dem Hallenboden sei das Ganze wie wachgerüttelt worden.

Eckstein schwieg einige Zeit. Dann fragte er. „Und wie geht’s jetzt weiter?“ Damit fing er sich den nächsten Aufwärtshaken ein. „Wir müssen Sie heute noch operieren und den befallenen Hoden entfernen. Das ist wichtig!“ Jetzt war es endgültig zu viel. Eckstein schaute den Urologen an und machte dicht: „Nee, heute operiert mich keiner mehr.“

Der Mann im weißen Kittel wurde deutlich, sehr deutlich: „Aber Herr Eckstein, Sie wissen schon, dass es um Leben oder Tod geht?! Es haben sich bereits Metastasen gebildet.“ Und zwar an den Nieren und am Rückgrat. Die sollten, so die Erklärung der Ärzte, auch der Grund für die Schmerzen nach dem Sturz gewesen sein. Doch „Eckes“ ließ nicht mit sich reden. „Ich muss das erst verdauen und wieder zu mir kommen.“