Bildquelle: Christoph Breithaupt
Veröffentlicht am 10.01.2024 in der "Mittelbadischen Presse"
Beim Eröffnungsspektakel am Mittwoch (20.45 Uhr) in Düsseldorf sitzt Martin Heuberger (59) unter den 53.000 Zuschauern in der Merkur Spiel-Arena. Der Junioren-Bundestrainer aus Schutterwald fiebert beim ersten Spiel der Handball-Europameisterschaft gegen die Schweiz mit vier seiner U21-Weltmeister, die nun die ganz große Bühne betreten. In der Vorrunde trifft das deutsche Team noch auf Frankreich und Nordmazedonien. Zwei kommen in die Hauptrunde.
Ist die Handball-EM in Deutschland das Aufwärmprogramm für die Heim-EM im Fußball – oder mehr?
Das sind unterschiedliche Sportarten, die eine hat mit der anderen eher weniger zu tun. Allerdings: Bei unserem letzten WM-Titel 2007 im eigenen Land kam uns das Sommermärchen der Fußball-WM ein halbes Jahr zuvor mit seiner Euphorie entgegen. Die hat sich ein stückweit auf die Handball-WM übertragen. Aber umgekehrt gilt das nur bedingt, weil der Fußball ein zig-Faches mehr an Fans hat und Handball nach wie vor eine Randsportart ist. Trotzdem: Es lässt sich auch mit Handball Euphorie entfachen.
Was erhoffen Sie sich für Ihre Sportart – auch atmosphärisch?
Die Mannschaft muss mit tollem Handball den Funken der Begeisterung zünden. Dann kann sie durch entsprechende Stimmung in den ausverkauften Hallen durchs Turnier getragen werden. Zusätzlich kann sich in Handball-Deutschland, wo wir uns in der Vergangenheit immer einer großen Fanschar erfreuen durften, auch Dank der Live Übertragungen bei ARD und ZDF, wieder eine Handball-Euphorie entfachen. Vielleicht auch bis zum Fernziel Halbfinale, von dem alle träumen. Aber das ist eine Riesenherausforderung, denn wir gehören nicht zu den Topfavoriten.
Beim Eröffnungsspiel Deutschland gegen die Schweiz in der überdachten Düsseldorfer Fußball-Arena wird der Zuschauerrekord von 44.000 fallen.
Da das Interesse für dieses Auftaktmatch der EM in der Düsseldorfer Fußball-Arena sehr groß ist, wird das Stadion noch mit zusätzlichen Plätzen ausgestattet und dann mit über 50.000 Zuschauern, ausverkauft sein. Ich weiß, dass der DHB für dieses Spiel ein Vielfaches an Karten hätte verkaufen können.
Das ist ein tolles Signal.
Auf jeden Fall. Ich hoffe nur, die Zuschauer in den oberen Rängen können den Ball noch genau erkennen. Das wird ein Spektakel. Sportlich ist die Schweiz aber gefährlich.
Was ist drin für Deutschland bei dieser EM?
Bei einem Heim-Turnier ist die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit und bei den Medien immer die, ganz vorne zu landen. Wenn alles optimal läuft und der Funke überspringt, sind wir konkurrenzfähig. Was in den letzten Turnieren fehlte, war die Konstanz. Das war teilweise der Unerfahrenheit geschuldet. Aber die Jungs sind jetzt ein Stück älter und reifer.
In der Vorrunde kommt schon viel aufs Frankreich-Spiel an, weil die Punkte mitgenommen werden.
Stimmt. Aber wir müssen die Aufgaben Schritt für Schritt angehen. Wie gesagt, hat es das Auftaktspiel in sich. Dann wäre optimal, wenn wir den Franzosen als einem der großen Favoriten ein Bein stellen könnten. Das wäre uns bei der letzten WM fast geglückt.
Und in der Hauptrunde könnte Spanien das Nadelöhr sein – wie schon so oft…
Ja, und die Kroaten kommen dazu. Und aus der Gruppe C darf man die Serben nicht unterschätzen. Dann sind da auch noch Island oder Ungarn, alles bärenstarke Handball-Nationen. Wenn die Hauptrunde geschafft ist, wird diese Gruppe für unser Team der Hammer. Aber die andere Hauptrundengruppe ist mit den favorisierten Dänen, Schweden und den Norwegern nicht weniger interessant. Daran sieht man die Leistungsdichte auf europäischer Ebene
Im Kader von Bundestrainer Alfred Gislason stehen vier Ihrer U21-Weltmeister vom Sommer. Wer schafft den Durchbruch?
Das freut mich natürlich sehr, dass Alfred diesen jungen Spielern das Vertrauen schenkt. Ich glaube, dass David Späth im Tor gute Chancen haben wird. Er wird seine Spielanteile bekommen, weil Andy Wolf so viele Spiele auf diesem Niveau nicht durchspielen kann. David wird eine gute Rolle spielen, weil er auch als Typ sehr positiv für eine Mannschaft sein kann. Er hat bei der U21-WM letzten Sommer nicht nur mit seiner Halteleistung überzeugt, sondern er hat das Team mit seiner Emotionalität immer wieder eingepeitscht. Ich hoffe, er kann das auf die A-Mannschaft übertragen. Er muss sich sein Standing erst erarbeiten, ist aber so ein positiv verrückter Typ, dass er seine Begeisterungsfähigkeit entfachen wird.
Späth ist aber nicht alles aus der Heuberger’schen Kaderschmiede?
Ich setze auch stark auf Justus Fischer am Kreis. Er ist ein ähnlich emotionaler Typ wie Späth und kann im Angriff und im Innenblock der 6:0-Abwehr Spielanteile bekommen. Nils Lichtlein ist ein belebendes Element. Er hatte nach den verletzungsbedingten Ausfällen von Paul Drux und Fabian Wiede bei den Füchsen Berlin viele Spielanteile. Mit guten Leistungen hat er sich freigeschwommen, harmoniert mit Juri Knorr und macht Sachen, die nicht jeder kann. Er ist unglaublich explosiv, super im Eins-gegen-eins und trifft gute Entscheidungen. Das macht ihn wertvoll für den Angriff. Das Problem bei ihm liegt in der Abwehr. man müsste ihn auf Außen „verstecken“ oder einen Abwehr-Angriff-Wechsel vornehmen. Stehen Knorr und Lichtlein gleichzeitig auf der Platte, wird’s in dieser Hinsicht schwierig, weil Juri in der Vergangenheit öfter nur im Angriff spielte. Er könnte aber auch ganz gut auf der Halb-Position verteidigen.
Renars Uscins hat den Sprung ins EM-Aufgebot ebenfalls geschafft.
Nach einer tollen Performance bei der U21-EM ist er auch in der Bundesliga bei Hannover-Burgdorf zum Leistungsträger avanciert, hatte aber zuletzt einen kleinen Hänger, was normal ist bei so einem jungen Spieler. Mit Kai Häfner und Christoph Steinert gibt es aber schon zwei etablierte Spieler auf seiner Position im rechten Rückraum.
Gehen Sie mal die einzelnen Positionen durch und versuchen Sie dabei, eine Stammsieben zu benennen.
Im Tor steht das Duo Andreas Wolff als Nummer eins und David Späth als Ergänzung.
Und auf Linksaußen?
Lukas Mertens und Rune Dahmke, der angeschlagen war, bringen in der Liga beständig gute Leistungen.
Auf der Königsposition im linken Rückraum ist Julian Köster das Ass?
Er ist die unangefochtene Nummer eins. Aber auch er braucht ein Pendant. Da ist die Frage, worauf Alfred Gislason den Schwerpunkt legt – auf den Angriff oder mehr auf die Abwehr? Ich würde mich rein gefühlsmäßig für Sebastian Heymann entscheiden, weil er der Defensive mehr Stabilität geben kann im Innenblock. Außerdem ist er ein torgefährlicher Konterspieler. Eine Alternative wäre der lange verletzte Philipp Weber.
Und jetzt zur Spielmacher-Position.
Da ist Juri Knorr gesetzt.
Was trauen Sie ihm bei der EM zu? Er ist unser Aushängeschild.
Das schon. Er kann eine echte Waffe sein mit seiner unglaublichen Tempoforcierung in seinen Aktionen und dem schnellen Schlagwurf. Dazu ist er sehr gut in der Kooperation mit den Kreisläufern, die von seinen genialen Anspielen profitieren. Aber er braucht noch mehr Konstanz in seinen Leistungen. Er ist erst 23, hat vor einem Jahr viele gute WM-Spiele gemacht, war aber immer mal wieder fahrlässig und fehleranfällig. Mit etwas mehr Konstanz ist er ein absoluter Topspieler. Alternative zur Entlastung ist Nils Lichtlein.
Wie sieht’s auf der Linkshänderposition im rechten Rückraum aus?
Routinier Kai Häfner ist gesetzt. Der Wechsel von Melsungen nach Stuttgart tat ihm gut. Wir brauchen ihn, und er hat’s drauf. Die Alternative heißt Christoph Steinert, der auch Rechtsaußen spielen kann.
Wer ist dort die Nummer eins?
Timo Kastening, zumal Patrick Groetzki ausfällt.
Fehlt noch die Kreisläufer-Position mit Platzhirsch Johannes Golla.
Er ist Kapitän und Kopf der Mannschaft. Jannik Kohlbacher ist bei den Rhein-Neckar Löwen sehr gut eingespielt mit Knorr und Justus Fischer bei Hannover eine feste Größe. Am Kreis sind wir sehr gut aufgestellt.
Wer ist Ihr Topfavorit?
An Dänemark führt kein Weg vorbei. Die sind auf jeder Position drei-, oder gar vierfach gut besetzt. Das ist ein unfassbares Potenzial. Die Franzosen sind auch extrem stark.
Wo erleben Sie die EM?
Beim Eröffnungsspiel in Düsseldorf bin ich im Stadion. Berlin ist mir zu weit, deshalb schaue ich die restlichen Vorrundenspiele im Fernsehen an. Danach bin ich zumindest zeitweise in Köln. Dort sind vier Hauptrundenspieltage.