Das Olympia-Silber von Paris glänzt noch frisch. Ist die Handball-Nationalmannschaft schon bereit für den Kraftakt WM 2025?
Alle freuen sich sehr auf die WM, um Olympia zu bestätigen. Die Testspiele gegen Brasilien haben aber gezeigt, dass es noch ein weiter Weg ist.
Wie frisch erleben Sie die Stars bei den Füchsen Berlin, allen voran den dänischen Welthandballer Mathias Gidsel?
Er hat mich nach dem Olympia-Gold total überrascht. Er war von Anfang an präsent. Aber eine Belastung Champions League, Bundesliga, Olympische Spiele und WM ist eindeutig zu viel.
In welchem Zustand sind die Spieler aktuell?
Über Weihnachten hatten sie eine seriöse Pause. Ich glaube, dass sie frisch genug sind, eine WM zu spielen, die in der Belastung nicht ganz so hoch einschätzen ist wie eine Europameisterschaft.
War Paris ein Höhenflug, oder hat das Team von Alfred Gislason den Abstand zur Weltspitze tatsächlich minimiert?
Deutschland muss immer zur Weltspitze gehören und immer in der Lage sein, ein Halbfinale zu erreichen. Nichtsdestotrotz war die gehypte EM mit Platz vier im eigenen Land alles andere als Gold, was glänzt. Der Vorteil unserer Mannschaft ist, dass sie von Tag zu Tag besser werden kann, weil bei den jungen Spielern noch unglaublich viel Entwicklungspotenzial vorhanden ist.
Zum aktuellen Team: Ist Wolff im Tor noch die klare Nummer eins oder David Späth schon gleichwertig?
Wolff ist die klare Nummer eins. Ich kenne ihn seit vielen Jahren, er braucht das absolute Vertrauen. Von daher ist es gut, eine Hierarchie zu haben. David Späth kann aber immer einen Impuls geben. So haben wir ein sehr starkes Duo.
Der Shooting-Star von Paris war Renars Uscins. Ist er schon Weltklasse, oder profitierte er von seiner Unbekümmertheit und dass ihn die Gegner nicht wirklich auf dem Zettel hatten?
Er spielt eine unglaubliche Saison, sowohl in der Bundesliga als auch bei der Nationalmannschaft. Trotzdem ist es ein junger Spieler, der noch nicht auf seinem Zenit angekommen ist und natürlich Schwankungen unterliegen wird. Von daher rate ich allen, ihn sich vernünftig weiterentwickeln zu lassen und keine Wunderdinge zu erwarten. Höhen und Tiefen sind in so jungen Jahren unvermeidbar.
Mit nur 1,89 Meter im Kreis der baumlangen Rückraumasse – wie funktioniert das auf dem Niveau?
Er antizipiert Situationen sehr gut und ist auch unter körperlichem Angangsdruck immer noch in der Lage, gute und richtige Entscheidungen zu treffen, und hat dadurch was Besonderes, auch wenn er das eine oder andere Mal am Block vorbei und nicht darüber geht. Er wird lernen müssen, im Verlauf eines Turniers normale menschliche Schwächephasen zu überstehen.
Wer ist Marko Grgic?
Er ist die Überraschung, ein richtiger Shooting-Star mit klarem Kopf. Was ich an ihm besonders mag, ist neben seiner Dynamik auf dem Feld seine Klarheit außerhalb des Platzes – auch im Umgang mit Medien und dem Druck.
Und er ist der Sohn von Danijel Grgic, der Sie 2002 in Ihrem letzten Spiel als Trainer der SG Willstätt/Schutterwald schier in den Wahnsinn getrieben hat ...
Ich weiß ... Aber ich glaube, er ist nicht ganz so verrückt wie sein Vater
Das heißt, er macht keine Rückhandwürfe?
Genau. Und ich glaube, er hat noch größeres Potenzial als sein Vater.
Welche Rolle spielt er nach dem Ausfall von Sebastian Heymann?
Heymanns Ausfall schmerzt, weil er einer ist, der für einfache Tore sorgen kann. Die anderen müssen, um zu treffen, näher ans Tor heran. Grgic wird jetzt automatisch mehr Spielanteile bekommen.
Ein Wort zu Juri Knorr und seiner Entwicklung.
Ähnlich wie bei Uscins sind auch bei ihm Schwankungen ganz normal. Er hat sich in dieser Saison gefangen und lenkt das Spiel mittlerweile sehr erwachsen. Er kann innerhalb des Spiels ein System verändern und auch mit eigenen Schwächephasen umgehen, ohne zu überdrehen.
Wie sehen Sie seinen schon feststehenden Wechsel im Sommer zum dänischen Meister Aalborg Handbold?
Da steht mir kein Urteil zu. Er wird wissen, was er tut. Ich glaube, dass seine Mentalität und sein Charakter dorthin passen und es ihn reifen lässt.
In der Vorrunde treffen wir auf Polen, die Schweiz und Tschechien. Es geht um drei Siege wegen der Ausgangsposition in der Hauptrunde – richtig?
Genau. Eine WM hat den Vorteil, dass du dich ins Turnier spielen kannst. Die Auslosung in der Vor- und Hauptrunde ist für uns perfekt. Wir können Kräfte verteilen und was Großes entwickeln.
In der Hauptrunde warten vermutlich Titelverteidiger Dänemark, Algerien und Tunesien.
Nee, Italien! Dänemark, Italien und der Sieger aus Algerien gegen Tunesien. Dann kommen zwei weiter, was machbar ist. Der Turnierbaum könnte für uns nicht besser sein.
Nadelöhr wäre wohl das Viertelfinale mit den möglichen Gegnern Schweden, Spanien oder Norwegen.
Ja, aber auch das ist machbar. Es ist nicht Dänemark – es könnte aus meiner Sicht wirklich nicht besser sein.
Was erwarten Sie von der deutschen Mannschaft – das Halbfinale oder die erste WM-Medaille seit 2007?
Ich finde es mutig, den Weltmeistertiel auszurufen, finde es aber toll, dass die Mannschaft das tut. Da scheint es eine neue Ausrichtung zu geben. Das ist gut und mutig. Aber lieber mal Ziele nicht erreichen, als zufrieden zu sein mit untergeordneten Zielen. Ich glaube, dass wir viele Möglichkeiten haben. Aber die Heim-EM war maximal eine „Vier“. Ich habe viel auf die Fresse gekriegt, als ich das gesagt habe. Doch dazu stehe ich. Wenn du vier Spiele gewinnst und vier verlierst, hast du keine gute EM gespielt. Und bei Olympia steht dem einen großen Sieg gegen Frankreich eine klare Niederlage gegen Dänemark gegenüber.
Dänemark hat die letzten drei WM-Titel abgeräumt. Wie geht das in einer Sportart, in der die Weltspitze dermaßen dicht beieinander liegt?
Die Dänen sind die einzige echte Weltklassemannschaft. Spanien ist im Umbruch, Deutschland auch, Schweden nicht stabil und Norwegen eher im Abwärtstrend. Auch Frankreich ist nicht mehr top.
Folgt jetzt Titel Nummer vier?
Wer Weltmeister werden will, muss an Dänemark vorbei. Und die zu schlagen, ist einen Riesen-Challenge.