Sie haben knapp die Hälfte Ihres Lebens in der Schweiz verbracht. Wie deutsch sind Sie noch oder wieviel Eidgenosse schon?
Ehret: Ich bin nach wie vor zu hundert Prozent Südbadener, wie ich es immer war.
Wie unterscheiden sich die Mentalitäten der Nachbarländer?
Ehret: Die sind eng beieinander. Das Verständnis vom Umgang ist ähnlich. Der Schweizer ist noch ein bisschen zurückhaltender. Jemanden direkt zu konfrontieren, ist nicht seine Sache. Das geht in Südbaden ein klein bisschen leichter.
Hilft das bei Ihrer Tätigkeit als Coach von Führungskräften?
Ehret: Klar. Einen guten Draht zu finden, ist mir leichter gefallen, als einem, der aus dem Norden oder Westen Deutschlands gekommen wäre.
In der Schweiz sind Sie eine Gallionsfigur des Handballs. Wie steht’s um die Kontakte zum Fußball?
Ehret: Dazu habe ich Zugang durch den früheren Technischen Direktor des Schweizer Verbandes. Mit Hans-Rudi Hasler habe ich zusammengearbeitet, als es um Nachwuchsprojekte ging. Die inzwischen untergegangene Bank „Credit Suisse“ hat das gesponsert. Das half beim Aufbau professioneller Strukturen, auch bei der Trainerausbildung. Und es brachte Erfolg: Die Schweiz war bei den letzten Turnieren jeweils besser als Deutschland. Ex-Trainer Roy Hodgson und Hasler waren wichtige Impulsgeber für den Schweizer Fußball.
In welchen Fernsehsendern verfolgen Sie die EM?
Ehret: Ich switche hin und her, um ein Bild zu bekommen, wie werten das die Schweizer und die deutschen Sender.
Mögen Sie das moderne Entertainment?
Ehret: Ich finde das ermüdend. Diese Vorspann- und Nachspanngeschichten und was in der Pause läuft, nehmen mehr Zeit in Anspruch, als das Spiel. Das ließe sich kürzer fassen.
Wie gefällt Ihnen Julian Nagelsmann als Trainertyp?
Ehret: Er hat sich sehr intensiv mit der Sportart beschäftigt, hat einiges an Erfolgen erzielt und ist fachlich absolut top.
Ist es ein Handicap, dass er als Spieler nie ein solches Turnier erlebt hat?
Ehret: Es ist schwierig, in seinem jungen Alter schon eine gewisse Ruhe, Gelassenheit und Souveränität zu haben. Ein glänzendes Beispiel in Sachen Souveränität ist für mich Carlo Ancelotti. Fachlich ist Nagelsmann möglicherweise sogar besser als er. Aber Ancelotti hat aufgrund seiner riesigen Erfahrung ein gutes Gespür, was eine Mannschaft und der einzelne braucht. Doch Nagelsmann erscheint mir lernfähig, hat seine Experimente beendet und eine klare Rollenverteilung vorgenommen.
Was trauen sie dem DFB-Team zu?
Ehret: Möglich, dass sie ins Finale kommen. Ich habe kein anderes Team gesehen, von dem man sagen könnte: Das ist es!
Wie stark ist die Schweiz? Hat die Generation um Xhaqa und Shaqiri den Zenit überschritten?
Ehret: Shaqiri ist stets für einen herausragenden Moment gut. Nicht umsonst nennen sie ihn „Zauberwürfel“. Für die Schweiz geht es darum, mal ins Viertelfinale zu kommen und vielleicht eine Überraschung zu schaffen Richtung Halbfinale. Die Mannschaft ist gefestigt und hat Selbstvertrauen.
Wer gewinnt am Sonntag, oder rechnen Sie mit einem schiedlichen, friedlichen Unentschieden, das beiden hilft?
Ehret: Ich glaube, Deutschland gewinnt. Die Jungs spielen nicht auf Ergebnis, sondern haben verinnerlicht: Wir sind dem Publikum was schuldig.