Jetzt sind sie schon zu dritt. Nach Wirtz und Musiala hat der deutsche Fußball ein weiteres „German Wunderkind“: Lennart Karl.
Das neueste Juwel des FC Bayern sieht aus wie ein rotzfrecher Straßenfußballer: klein, gedrungen, Dynamit in den Beinen, dazu einen linken Fuß vom Feinsten. Wenn er unwiderstehlich Richtung Strafraum startet und verwegen den Abschluss sucht, schwingt ein Schuss Tollwütigkeit mit – wie die jungen Wilden so sind.
Mit seinem Hammer-Tor beim 4:0 gegen Brügge hat sich der Unterfranke aus Frammersbach im Main-Spessart-Kreis mit 17 Jahren und 242 Tagen zum jüngsten deutschen Torschützen in der Champions League gekürt. Als er in der Bundesliga gegen Gladbach das nächste Traumtor nachlegte, fragte die „Bild“-Zeitung in einem Anfall typisch deutscher Hysterie: „Holt Nagelsmann sofort Super-Karl?“
Kompletter Blödsinn! „Heutzutage ist das ein bisschen früher möglich“, antwortete Kimmich als Kapitän der Nationalelf diplomatisch.
Stimmt aber. Andere haben es vorgemacht. Solcherlei Frühchen sind nicht selten auf der Weltbühne des Fußballs. Denken wir nur an Diego Maradona. Der Argentinier, mit 1,65 m noch drei Zentimeter kleiner als Karl, glänzte schon mit 12 Jahren als Balljongleur in den Pausen der Profispiele und debütierte zehn Tage vor seinem 16. Geburtstag in der ersten Liga.
Oder Lionel Messi. Der beste Kicker der Gegenwart war mit 13 Jahren ein begnadeter, aber kranker Junge, der wegen einer Wachstumsstörung kaum 1,40 m maß. Sein Spitzname „La Pulga“, der Floh, begleitet ihn bis heute. Und Weltruhm erlangte Messi nur, weil der FC Barcelona die für argentinische Verhältnisse astronomischen Behandlungskosten von 900 Dollar im Monat übernahm.
Sein erster Vertrag mit Barça wurde auf einer Serviette unterschrieben, und mit 17 Jahren und 210 Tagen traf Messi zum ersten Mal in La Liga. Heute ist er 38 und es kann gut sein, dass er mit Argentinien bei der WM nächstes Jahr die Titelverteidigung in Angriff nimmt.
Florian Wirtz zählte gerade mal 17 Jahre und 34 Tage, als ihm im Trikot von Bayer Leverkusen sein erstes Bundesliga-Tor gelang. Inzwischen ist er der deutschen Beletage entwachsen und greift beim FC Liverpool ins oberste Regal des Fußballs.
Noch kämpft er mit eigenen Anlaufschwierigkeiten, aber auch mit den Formschwankungen seines neuen Klubs. Was „Bild“ zur Bemerkung verleitete: „Gemessen an der aktuellen Form der beiden, ist Karl gerade der bessere Wirtz.“
Lassen wir diesen Vergleich mit dem Hinweis auf Äpfel und Birnen. Schließlich ist Wirtz schon 22. Und Karl sollte besser auf Gleichaltrige schauen. Etwa Barcelonas Zahnspangenträger Lamine Yamal (18). Der Junge war schon mit 15 Jahren und 305 Tagen spanischer Meister und mit 16 Jahren und 57 Tagen jüngster Nationalspieler seines Landes. Sein Vertrag beinhaltet eine Ausstiegsklausel für eine Milliarde Euro.
Da haben Karl und sein Berater Michael Ballack noch viel Luft nach oben. „Lennart Karl hat einfach Eier“, sagt sein Mitspieler Pavlovic. Womit der Kahn-Test schon mal bestanden wäre.
Apropos Oliver Kahn. Der spielte einst in Karlsruhe mit dem Phänomen Edgar Schmitt: steile, aber kurze Bundesliga-Karriere mit 28 bis 30 Jahren. Vier Tore gegen Valencia. Oder jetzt Tim Kleindienst: Nationalspieler mit 29, vier Tore in sechs Länderspielen.
Trotz ihres Alters sind auch diese beiden „German Wunderkinder“. Mitsamt dem Stempel „Vorsicht, Tollwut!“