In Zeiten wie diesen, wo der Kulturkampf aufbrandet, ist Deutschland ein uneinig Land voller Debattierer, Schwadronierer und Pöbeleien. Über die Wehrfähigkeit, die Rente, rechte wie linke Parolen und das Bürgergeld. Vom Asyl ganz zu schweigen. Und jetzt kommt’s: Immer mehr Menschen glauben, dass wir auch noch ein Torwartproblem haben.
Dabei gab’s das noch nie!
Im Gegenteil: Allweil hat uns die Welt um unsere Schlussmänner beneidet, die viel mehr waren als nur Torsteher.
Das fing schon mit Toni Turek an. Der gelernte Bäcker war ein Spätzünder und hielt am 4. Juli 1954 das Wunder von Bern zusammen. Herbert Zimmermann erklärte den 35-Jährigen in seiner legendären Radioreportage abwechselnd zum „Teufelskerl“ und „Fußball-Gott“. Was beides Quatsch war. Denn Turek war einfach nur ein Torhüter mit bestechendem Auge.
Dann kam Hans Tilkowski, ein Kumpeltyp aus dem Ruhrgebiet, der Berühmtheit erlangte durch ein Gegentor, das keines war: das legendäre Wembleytor 1966. Gefolgt vom vielleicht besten Keeper, den wir je hatten: Sepp Maier, die Katze von Anzing. Der geschmeidige Bayer gewann mit Bayern sämtliche Titel, die es gibt, inklusive WM-Finale 1974, machte 442 Bundesligaspiele am Stück und wurde mit seinen Späßen zum Karl Valentin des Fußballs.
Die nächste Nummer war „Toni“ Schumacher. Der jecke Kölner zementierte das Klischee, dass Torhüter (und Linksaußen) eine Macke haben. Im WM-Halbfinale 1982 schlug er dem Franzosen Battiston zwei Zähne aus und hielt danach zwei Elfer. Später hatten wir Illgner, der sein erstes Gehalt bei Real Madrid bar in Plastiktüten erhielt, Köpke, Oli Kahn und schließlich den ewigen Manuel Neuer: 124 Länderspiele, weit mehr als alle anderen. Jetzt wird er 40 und ist aus der Nationalelf zurückgetreten.
Seither wirkt die Hierarchie topfeben – kein neuer Neuer in Sicht.
Der, der ihn beerben sollte, ist leider ein Don Quichotte. Marc-André ter Stegen stand sein halbes Torwartleben im Schatten des Bayern. Die beste Nummer zwei der Welt. Als seine Chance kam, riss die Patellasehne, er wurde am Rücken operiert und bei Barça ausgebootet. Was kein faires Verfahren, sondern eher ein Schurkenstück war.
Dann gibt’s noch Alex Nübel. Bis heute weiß kein Mensch, was die Bayern geritten hat, den Schalker vor fünf Jahren als Neuer-Nachfolger zu locken. In München kam er nicht ansatzweise an den großen Zampano heran und jobbt seither als Leasing-Modell – aktuell beim VfB.
Es verbietet sich von selbst, dass er nun in der Nationalelf das macht, was er bei Bayern nicht vermochte – nämlich Neuer nachzufolgen.
Um der Krux zu entkommen, machte der Bundestrainer Oli Baumann zur Nummer eins. Der ist 35 – so alt wie Turek damals.
Eine vermeintlich graue Maus: messerscharfer Seitenscheitel, Glamourfaktor nahe null. Kein Ferrari wie Neuer. Sein Metier war eher der Abstiegskampf: erst Freiburg, dann Hoffenheim. „Die Defensivschwäche der TSG hat mich zum Nationalspieler gemacht“, sagt er selbst.
Baumann ist ein Fleißprodukt aus emsigem Training und Erfahrung. Seine Ex-Trainer schätzen das: „Ein Musterprofi“, sagt Sebastian Hoeneß. Und Christian Streich betont: „Er isch immer ä tolle Kärli bliebe.“
Und er hält großartig, wie gegen die Slowakei, als es um die Wurst ging.
Ob Nagelsmann bei der WM auf Baumann baut? Oder doch noch Neuer bekniet?
Wie gut, dass wir kein Torhüterproblem haben und alles nur leeres Gerede ist.