Mit Blick auf das Verfallsdatum

Kürzlich ließ sich Simon Rolfes im ZDF-Sportstudio auf den Zahn fühlen. Was Leverkusens Sport-Geschäftsführer erklären sollte, ist gar nicht so einfach.

War das Dream-Team von Bayer 04 um Florian Wirtz nur eine Sternschnuppe?

Nach zwei Jahren am und über dem Optimum mit ungeschlagenem Double-Gewinn, Europa-League-Finale und Vizemeisterschaft machten sich, angeführt von Erfolgstrainer Alonso, acht Stammspieler vom Acker. Rolfes zuckte mit den Achseln: „Sie haben die Chance gesehen, in der Weltklasse zu spielen.“

Was er damit meint: Irgendwann ist eine Erfolgsgeschichte auserzählt. Anders gesagt: Das Verfallsdatum läuft ab. Je nach Mannschaft und Verein kann das sehr unterschiedlich sein.

In der Pressekonferenz nach dem glorreichen WM-Finale 1990 in Rom ließ Franz Beckenbauer die Katze aus dem Sack: „Mit der Wiedervereinigung im Rücken wird die Nationalelf auf Jahre hinaus unschlagbar sein.“ Weil die Kaiser-Gläubigkeit gerade auf dem Höhepunkt war, hätten ihm die Leute auch noch abgekauft, dass ein Zitronenfalter Zitronen faltet.

Die Prognose hielt ganze sechs Spiele, dann fabrizierten unsere Weltmeister am 5. Juni 1991 in Car­diff beim 0:1 gegen den Wadenbeißer Wales im Rahmen der EM-Qualifikation eine platschende Bauchlandung.

Das Höchstmaß an Qualitätslevel im deutschen Fußball bietet der FC Bayern. Aber selbst die legendäre Münchner Mannschaft um Beckenbauer, Maier, Müller und Hoeneß, die von 1974 bis 1976 dreimal in Folge den Europacup der Landesmeister absahnte, endete vier Jahre danach auf Platz zwölf im Niemandsland der Bundesliga.

Solche Leistungseinbrüche haben sie an der Säbener Straße stets als Majestätsbeleidigung empfunden – und entsprechend reagiert. Auf erfolgreiche Störversuche des VfB Stuttgart und des VfL Wolfsburg, die 2007 und 2009 dafür sorgten, dass die Bayern nach dem Millennium bislang „nur“ 19 und nicht 21 von 25 Meistertiteln abgegriffen haben, reagierte Hoeneß mit Wutkäufen à la Ribéry, Robben oder Luca Toni. Wer kann, der darf...

Zurück zu Leverkusen. Dort musste Rolfes über den Sommer 21 neue Spieler integrieren. Allein deren Namen zu kennen, ist ähnlich wie vor dem Schlafengehen Lateinvokabeln aufzusagen.

Nur mit dem Trainer hat er sich vertan. Erik ten Hag war ein arges Missverständnis, das schon nach zwei Spielen korrigiert wurde. Der empathische Kasper Hjulmand dagegen scheint zu passen.

Wer glaubt, Rolfes habe den Dänen wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert, irrt gewaltig. Hinter den Kulissen war dieser Kontakt schon lange geknüpft. Für den Fall der Fälle. „Wenn ich einen Trainer habe“, verriet Rolfes, „muss ich schon anfangen zu überlegen, wer danach kommen könnte.“

Gegen Paris stand für Bayer nur ein Deutscher auf dem Platz – Robert Andrich, der nach 31 Minuten die Rote Karte sah. Trotzdem, und das ist das Feine am Fußball, hatten die Fans dabei keine problematischen Gefühle wie Kanzler Merz und viele andere beim Blick aufs Stadtbild in unserem Land. Im Gegenteil: Sie feierten das neue Team trotz der 2:7-Klatsche gegen Europas Überflieger.

Auf Schalke ist das ein Dauerzustand, egal wo und wie die „Knappen“ kicken. Seit es die Bundesliga gibt, waren sie nur einmal Meister – 2001 für vier Minuten. Dann kapierten sie, dass das Spiel in Hamburg noch lief und der Münchner Andersson alles anders machte.

Aber was soll's? In den Herzen der Fans gibt es kein Verfallsdatum.

 

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