Kalter Entzug

Rein sportlich geriet der letzte Streich zum Streichle, aber danach war nur noch Streicheln. Nach zwölfeinhalb Jahren verabschiedete sich Christian Streich im Europa Park-Stadion mit einem 1:1 gegen Heidenheim, das ihm gewaltig gegen den Strich ging. Schwamm drüber gibt’s bei ihm nicht, selbst wenn ihn 34.000 Menschen feiern. So ist er immer gewesen.

Noch einmal 90 Minuten in Berlin, dann ist der Trainer Christian Streich Geschichte. In Freiburg hat er schon lange Kultstatus, im Rest der Republik inzwischen auch. Weil er weiß, dass das mit übertriebener Verehrung zu tun hat, weist er ihn von sich wie die vielen Lobhudeleien, die er leiden kann wie Spinnennetze, und sagt: „Ich bin högschdens ein Kültle.“

In unzähligen Interviews hat er seine Mundart durchgezogen wie die Menschlichkeit und Disziplin im Umgang mit Spielern. Durch Streich wurde das Alemannisch salonfähig, er redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das macht ihn auch zum Hofnarren der Bundesliga.

Aber er ist so viel mehr. Die „New York Times“ nannte ihn das „soziale Gewissen der Bundesliga“. Vermutlich meint das Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) Ähnliches, wenn es vom „Welterklärer aus dem Schwarzwald“ schreibt.

Pressekonferenzen mit dem ehemaligen Geschichtslehrer gerieten nicht selten zum Unterricht in Sachen Moral und Bürgerpflicht. Ob Migranten, Antisemitismus oder Bedrohung der Gesellschaft vom rechten Rand: Streich vertritt glasklare Positionen. Anecken ist ihm so wurscht wie manchen ein Knöllchen wegen Falschparkens. Deshalb findet nicht nur das RND: „Er hat, was dem modernen Fußball fehlt – Haltung!“

Die kommt bekanntlich von Halt – und den verliert Streich nur äußerst selten. Da muss schon ein Rambo kommen wie der Ex-Frankfurter David Abraham, der ihn in der Hitze des Gefechts mit einem Bodycheck zu Boden streckte. Aber uneitel wie er ist, schloss er die Akte noch ehe sie richtig aufgemacht wurde.

Streich ist ein Metzgersohn wie Uli Hoeneß. Womit die Parallelen dieser Leuchttürme des deutschen Fußballs aber schon hinlänglich aufgezählt wären. Die Unterschiede begannen bereits beim Fortbewegungsmittel. Streich hatte lange kein Auto, während der junge Hoeneß schon mit dem Porsche zur Olympiaauswahl fuhr.

Während der Bayern-Patron Ehefrau Susi als Charaktertesterin anpreist, hat es der Freiburg-Coach geschafft, dass die Medien bis heute im Dunkeln tappen, wie seine Frau aussieht und wie sie heißt. Berufsleben und Privates aber, so wird kolportiert, trenne er nur zwischen Weihnachten und Neujahr penibel.

Vielleicht auch deshalb spürt der emotionale Derwisch schon länger, dass ihm das Benzin ausgeht. Seither sucht er nach dem richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg. Der scheint jetzt gekommen. Vieles spricht dafür. Zumindest auf dem Papier ist Julian Schuster der geborene Nachfolger. Aber keine Versicherung bietet dafür einen Tarif.

Und Streich? Findet er ohne die Droge Fußball eine Balance? Was er vorhat, ist kalter Entzug. Von hundert auf null. Das gibt er auch zu: „Keine Arbeit heißt: keine Struktur.“ Streich hat keinen blassen Schimmer, was in drei Monaten ist. Ob er seiner Frau auf die Nerven geht, ob er einen Sprachkurs macht oder sich im Ausland umguckt. „Vielleicht“, sagte er, „fahre ich mit dem Fahrrad durch Deutschland.“

Vielleicht geht er auch den Jakobsweg. Und trifft Uli Hoeneß und Kalle Rummenigge, die dort einen Trainer suchen. Inkognito und unbemerkt – wie’s früher mal war .

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