Xabi Alonso und Joshua Kimmich sind Gesichter des Machtwechsels im deutschen Fußball. Während Leverkusens Trainer aus dem Stand an die Spitze sprang, kam der Bayern-Ehrgeizling von ganz weit her – gegen Arsenal und überhaupt.
Als Kimmich am Mittwoch seine Münchner mit einem gefühlten Anlauf übers halbe Spielfeld per Kopf ins Halbfinale der Champions League gewuchtet hatte, sah man ihn lachen. Vermutlich zum ersten Mal in dieser Saison.
Der Rottweiler schlüpfte vor neun Jahren als 20-Jähriger ins Bayern-Trikot und galt damals als Ausbund an Willen und Energie – eine Weltkarriere war vorgezeichnet. Zumal er als Rechtsverteidiger wie der bestellte Nachfolger von Philipp Lahm wirkte. Dann aber modelte ihn Pep Guardiola zum Sechser im Mittelfeld um. Und weil’s eine Idee des Taktikgurus war, fanden das andere Trainer nobelpreisverdächtig.
So gelangte „de Jo“, wie ihn Jogi Löw nannte, in die Schaltzentrale. Dort drehte Kimmich als Josh an allen Knöpfen: Ecken schießen, Freistöße am liebsten auch, hinten abgrätschen, vorne zuspielen – und das Kommando führen. Er machte alles und stand sich selbst im Weg.
National reichte das mit den Bayern jedes Jahr zur Meisterschaft und 2020 sogar auf den Thron Europas. Doch mit der Nationalelf scheiterte er dreimal vernichtend: 2018 in Russland, 2021 an England – und ein Jahr später in Katar fuhr er die Karre mit Gündogan und Goretzka in den Dreck.
Dann tauchte Tuchel an der Säbener Straße auf und forderte von den Bayern-Bossen eine „Holding Six“ – einen defensiv denkenden Sechser. Damit zog er Kimmich den Boden unter den Füßen weg, er demontierte den Münchner Mentalitätsspieler.
Den Rest besorgten die typisch Deutschen – sagt zumindest Sami Khedira. Der Rio-Weltmeister brach als DAZN-Experte eine gewaltige Lanze für Kimmich. „Was hat man nicht alles über ihn gesagt: Er kann keine Ecken schießen, ist ein Impfgegner, hat vier Kinder, den brauchen wir nicht. Liebe Experten, ihr habt keine Ahnung!“
Inzwischen spielt Kimmich auf der Außenbahn. Vielleicht ist genau das seine Position. Fußball ist oft so einfach.
Xabi Alonso, Spaniens Welt- und Doppel-Europameister, war einst auch ein Sechser. Aber er interpretierte diese Rolle anders als Kimmich. „Es ist nicht mein Job, selbst gut zu spielen“, sagte er, „sondern es jedem zu erlauben, besser zu agieren.“
Dem „Kaiser“ stach das sofort ins Auge, als Alonso 2014 von Real Madrid nach München kam. „Die Mannschaft, die er mal trainiert, kann man jetzt schon beglückwünschen“, prophezeite Franz Beckenbauer.
Zehn Jahre später sagt Leverkusen danke. Mit dem Basken auf der Bank hat Bayer den Bayern den Rang abgelaufen. Schon fünf Spiele vor Schluss – mit 16 Punkten Vorsprung. Alonso ist auf einen Schlag der begehrteste Trainer Europas, aber er bleibt so was von auf dem Teppich: „Vielleicht kommt alles zu schnell für mich, aber ich akzeptiere und genieße es.“ Vermutlich kommt noch ein Titel hinzu, womöglich gar zwei. Die Frage ist: Wie reagieren die Bayern?
Auch davon kann Khedira ein Lied singen. „2007“, erinnert er sich, „wurden wir mit dem VfB Meister. Dann hat Hoeneß auf der Stelle Ribéry und Luca Toni gekauft.“
Die neuen Bosse müssen die Absage von Nagelsmann verdauen. Der bleibt Bundestrainer und hat aus Kimmich wieder den Verteidiger gemacht. Vielleicht wird’s ja doch noch was mit Josh – zumindest bei der EM. In München fehlt ihm noch die Rückendeckung.