Cleverness gilt als Gütesiegel des Zeitgeistes und treibt die tollsten Blüten. In Kalifornien hat der Baseball-Club Los Angeles Dodgers den Superstar Shohei Ohtani vom Rivalen L.A. Angels losgeeist. Das gelang mit einem Monstervertrag: Der 29-Jährige erhält 700 Millionen Dollar für zehn Jahre. Was mehr ist, als Barça für Messi aufgerufen hat und Mbappé bei PSG kassiert.
Experten sagen, der Japaner sei jeden Cent wert. Immerhin schlägt er den Ball mit 150 km/h und wirft ihn mit 160 Sachen. Zum Vergleich: Unsere Handball-Strategen Knorr und Köster kommen bei der EM auf Geschwindigkeiten um die 125 km/h.
Um handlungsfähig zu bleiben, wenden die Dodgers Trick 17 an. Ohtani bekommt bis zum Vertragsende 2034 nur zwei Millionen pro Jahr ausbezahlt. Den großen Rest kassiert er im Anschluss bis 2043. Dadurch kann ihm sein neuer Club ein adäquates Umfeld an Spielern bieten. Und hernach die Sintflut...
Wie clever das ist, wird die ferne Zukunft zeigen. In Berlin kämpft Bob Hanning um ein zeitnahes Modell des Handballs. Der Oberfuchs der Füchse Berlin hat es mit seiner Jugendförderung so weit gebracht, dass sein Kooperationsverein VfL Potsdam mit all den Talenten, die es (noch) nicht ganz nach oben geschafft haben, an die Tür zur Bundesliga klopft.
Im Falle eines Aufstiegs aber beißt sich die Katze in den Schwanz. Dann endet das Doppelspielrecht, die Füchse würden nicht mehr profitieren, und der VfL wäre womöglich Kanonenfutter. Deshalb hat Hanning eine Idee: Potsdam als Team Deutschland – ein Sammelbecken für die besten deutschen Nachwuchsspieler, die in ihren Clubs hinter Hochkarätern aus dem Ausland zu wenig Einsatzminuten haben.
Diese Talente sollen an den VfL ausgeliehen werden. Bei der Konkurrenz, die nicht auf die Früchte ihrer Arbeit verzichten will, löst das erst mal Schnappatmung aus. Eine eingebaute Erfolgsgarantie ist das nicht.
Solche Schachzüge sind Ansichtssache, aber legitim und im Zweifelsfall clever.
Leider aber bringt der Zeitgeist auch ekelhafte Geschwüre hervor. Spätestens seit den Enthüllungen der Correctiv-Redaktion zu einem Geheimtreffen von Rechtsradikalen und AfD-Leuten, bei dem über massenhafte Vertreibung von Migranten beraten wurde, müsste jeder in Deutschland wissen, was die Stunde geschlagen hat.
Christian Streich, stets ein Freund klarer Worte, sagt: „Es ist fünf vor zwölf!“ Im Rahmen der Pressekonferenz vor dem Derby gegen Hoffenheim hielt der Trainer des SC Freiburg eine Brandrede und erinnerte an die 102 Jahre alte Margot Friedländer, die als Holocaust-Überlebende erschreckende Parallelen zur Weimarer Republik erkennt.
„Wer jetzt nicht aufsteht, hat nichts verstanden“, beschwört Streich unsere Gesellschaft und erhält Unterstützung. „Es ist ganz wichtig, gegen Rechtsextremismus in jeder Form aufzustehen!“, sagt sein Leipziger Kollege Marco Rose. Beim Aufruf zur Teilnahme an einem Protestmarsch brachte es der FSV Mainz auf den Punkt: „Nie mehr – das ist jetzt!“
Uli Hoeneß scheute sich nicht, das Thema in seine Rede bei der Trauerfeier für den „Kaiser“ einzubetten. Dabei erinnerte der Bayern-Patron an die WM 2006 und die prächtige Außendarstellung der Deutschen: „Da müssen wir wieder hin, dass alle stolz sein können auf unser Land.“ Dann zeigte Hoeneß dem rechten Rand die Rote Karte: „Bei diesem Prozess will ich die AfD nicht dabeihaben!“
Recht hat er! Aber so was von! Genauso wie Streich, Rose und die Hunderttausende auf den Straßen.