Eine Gehirnerschütterung zur rechten Zeit

Christoph Kramer besitzt eindeutig das flotteste Mundwerk im Fußball-Fernsehen. Die Quatschbacke des ZDF hat es inzwischen auch noch an den Analyse-Tisch von Amazon Prime geschafft und zerlegt ein Fußballspiel so unterhaltsam wie kein anderer.

Es hätte auch anders kommen können. Das Sprungbrett für den ehemaligen Gladbach-Profi war das glorreiche WM-Finale 2014. Gegen Messi und Co. glänzte der kurzfristig für den verletzten Khedira eingesprungene Kramer aber weder als Torschütze noch als Toreverhinderer. In der 31. Minute näherte er sich dem Unparteiischen mit der bohrenden Frage: „Schiri, ist das hier das Finale? Ich muss das wissen.“

Grund für die Orientierungslosigkeit war ein Schultercheck des Argentiniers Garay, dem Kramer eine Gehirnerschütterung verdankte. Schiedsrichter Rizzoli riet zur Auswechslung – und Kramer wurde der verwirrteste Weltmeister aller Zeiten.

„Medial war diese Geschichte ein Glücksfall“, weiß er, „hätte ich das nicht erlebt, wäre ich heute kein ZDF-Experte.“ Spätfolge statt Spätschaden – Schwein gehabt.

Und Kramer packt seine Chance beim Schopf. Er hat nicht nur eine große Klappe, er kann auch schreiben. Gerade ist sein erstes Buch erschienen. Titel: „Das Leben fing im Sommer an.“

Ein Coming-of-Age-Roman, in dem es über das Fünfzehnsein geht im Sommer 2006, um Fußball, Pickel und das Mädchen Debbie, das sich in die Gedanken von Chris geschlichen hat. Der „Tagesspiegel“ nennt Kramers Werk einen autofiktionalen Pubertätsroman – „unpeinlich, stimmig, aber nicht weiter bemerkenswert.“

Doch ob seiner Prominenz genießt der Autor geballte Aufmerksamkeit: Platz eins auf der Spiegel-Bestsellerliste, Buchmesse Leipzig, eine Lesung nach der anderen.

„Würde auf dem Titel Peter Kramer stehen, hätte es der No-Name schwer“, meint der „Tagesspiegel“. Immerhin: Kramer hat selbst zur Feder gegriffen. Andere lassen schrei­ben. Meist Biografien – lange und oft langweilige.

Wieder andere, wie Franz Beckenbauer, versuchten sich als Sänger. Doch bei Titeln wie „Gute Freunde kann niemand trennen“ läuft die Milch Gefahr, sauer zu werden.

Allein Kevin Keegan ragte über dieses Badewannen-Niveau hinaus. Der beste Engländer, der je in der Bundesliga kickte, hatte das Glück, singen zu können – und bei einem Smokie-Konzert Chris Norman vorgestellt zu werden. Die beiden zischten ein paar Bierchen, und Norman überließ dem Briten seinen Song „Head over Heels in Love“, dem Suzi Quatro die kalte Schulter gezeigt hatte.

Der Flügelflitzer schaffte es damit 1979 immerhin in die Top 10 in Deutschland.

In der Fußballszene genießt Rudi Kargus den Nimbus als bester Elfmetertöter der Bundesliga. Von 70 Strafstößen hielt er 24. Abseits des Rasens machte sich der Keeper des Hamburger SV nach der erfolglosen Single „Auch Elfmeter kann man halten“ einen Namen als ernstzunehmender expressionistischer Maler. Sein Atelier betreibt der 72-Jährige auf einem abgelegenen Bauernhof in der Nähe von Norderstedt.

Alfred Metzler aus Wolfach hat es in der zweiten Karriere fast noch weiter gebracht als beim Fußball. Der ehemalige Zweitliga-Kicker des Freiburger FC und Amateurmeistertrainer des Offenburger FV ist seit Jahrzehnten ein renommierter Maler und Zauberkünstler. Auf dem Platz dagegen gehörte er, ähnlich wie Kramer, eher zur rackernden Fraktion.

Wer weiß: Eine Gehirnerschütterung zur rechten Zeit, und es wäre vielleicht noch viel mehr daraus geworden...

 

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