Die Kunst des Schweigens

Im Dschungel der Übertragungsrechte ist die Hierarchie unter den Fußball-Kommentatoren verloren gegangen. Das heißt im Klartext: Man muss die Sprüche feiern, wie sie fallen.

Kürzlich beim DFB-Pokal fetzten sich Braunschweig und der VfB Stuttgart 20 Elfer um die Ohren, bis die Entscheidung fiel. Tags darauf sagte ZDF-Experte Chris Kramer: „Wenn es nur Harry Kane gäbe, dann würden die jetzt immer noch schießen...“

Ganze 76 Spielminuten später scheiterte die Tormaschine des FC Bayern nach 22 perfekten Strafstößen in Serie ausgerechnet am Wiesbadener Drittliga-Keeper Florian Stritzel.

Was lernen wir daraus? Das Verfallsdatum einer Pointe sagt auch ein wenig was über deren Qualität.

Und in dieser Hinsicht ist einer immer noch unerreicht: Marcel Reif. „Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan wie heute“ – für diesen Satz erhielt der 75-Jährige 1998 den Grimme-Preis im Verbund mit Günther Jauch, als die beiden vor dem Champions-League-Halbfinale zwischen Real und dem BVB am Mikro eine 70-minütige Pause überbrücken mussten, weil in Madrid ein Torgestänge umgestürzt war.

Legendär ist auch, wie Reif 2001 im Finale der Königsklasse das Elfmeterschießen kommentierte. Als Effenberg beim Duell gegen Valencia bedeutungsschwanger zum Punkt schritt, sagte er: „The Opera is not over, til the fat Lady sings“ – Die Oper ist nicht aus, ehe die ganz dicke Dame gesungen hat.

Auf der Suche nach adäquaten Nachfolgern von Reif benötigen wir ein Fernglas. Auch deshalb, weil er an den richtigen Stellen zu schweigen vermochte, was den wenigsten gegeben ist.
Am nächsten kommt ihm noch Wolff-Christoph Fuss, der leider vielen verborgen bleibt, weil er meist nur im Pay-TV zu hören ist. Doch dort setzt der Ehemann von Sport-Moderatorin Anna Kraft verbale Akzente. „Woltemade hat ein Klavier auf dem Rücken“, sagte er beim Supercup, als der damals noch heftig von den Bayern umworbene Stuttgart-Stürmer von Upamecano in Manndeckung genommen wurde.

Die „Öffis“ bewegen sich mit ihren Männern am Mikro weitgehend im farblosen Bereich. Ob Olli Schmidt, Tom Bartels oder Gari Paubandt – alle drei eint eines: Sie sagen nichts, was über den Schlusspfiff hinaus bleibt.

Das ZDF leistet sich darüber hinaus noch immer Claudia Neumann. Die wellenartig wiederkehrenden Shitstorms, die in den sozialen Medien über die unermüdliche Vorkämpferin des Frauenfußballs hinwegfegen, sollen an dieser Stelle mitnichten befeuert werden. Aber es bleibt die alte Erkenntnis: Neumann ist anstrengend. Das liegt an ihrer metallenen Stimme, vor allem aber daran, dass sie ohne Punkt und Komma redet. Was sich dadurch erklären lässt, dass sie ursprünglich vom Radio kommt. Dazu gesellt sich ein Humor-Faktor, der streng gegen Null tendiert.

Wie auch immer. Nach drei Stunden Frauen-EM-Finale war der mehr oder weniger geneigte Zuschauer reif für die Insel. Um’s anders zu sagen: Selbst Vogelgezwitscher auf einer einsamen Bank am Waldesrand wäre in diesem Moment zu viel gewesen.

Neumanns Pendant bei der ARD heißt Christina Graf und ist, was Dezibel und Tonlage betrifft, nahezu identisch. Immerhin: Ihre Sprechpausen sind länger.

Was tun in solchen Momenten? Stellen Sie notfalls den Ton am Fernseher ab und kommentieren Sie selbst. So, wie das ein ehemaliger Hallensprecher des früheren Handball-Bundesligisten TuS Schutterwald getan hat, ehe er selbst zum Mikrofon griff.

 

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