Da sage noch einer, Thomas Tuchel passe nicht zum FC Bayern. Die Historie zeigt: Immer dann, wenn die Münchner aus dem Tritt geraten sind, setzt es Tritte, was das Zeug hält.
In diese Tradition hat sich der aktuelle Noch-Trainer mit einer Vehemenz eingereiht, die ihm keiner zugetraut hätte. Vor dem Achtelfinal-Rückspiel der Champions-League gegen Lazio, das für Tuchel unter dem Motto „Siegen oder Fliegen“ stand, trat er im Rahmen seiner Motivationsrede dermaßen in die Kabinentür, dass der große Zeh gebrochen war.
Deshalb verbrachte Tuchel die 90 Minuten kleinlaut auf der Bank und humpelte anschließend zum Interview-Tisch von „amazon“. Wo Thomas Müller schon gefrotzelt hatte: „Ein bissl Schwund ist immer. Nur mit Früchtetee machen wir das nicht.“
Die Kultur der Tritte reicht bei den Bayern bis auf den „Kaiser“ zurück. Als Teamchef der 1990er-Weltmeister trat Franz Beckenbauer nach dem leichtsinnigen Auftritt beim 1:0-Sieg im Viertelfinale gegen die Tschechen einen Kübel mit Eis quer durch die Kabine, dass die Würfel nur so spritzten.
Schon während der Partie hatte er die Spieler wüst beschimpft: „Ihr Blinden, ihr Topfenkicker, ihr seid’s die größten Deppen“, erinnert sich Lothar Matthäus. Noch heute rühmen sich Günter Herrmann und Frank Mill, dass sie den kaiserlichen Eklat in der Kabine verpassten, weil sie zum Rauchen auf der Toilette waren.
Noch viel spektakulärer war der Ausraster von Jürgen Klinsmann am 31. Spieltag der Saison 1996/97, weil er vor laufender Kamera stattfand. Der Schwabe war damals Kapitän der Nationalelf und damit auf dem Höhepunkt seiner Ansprüche, mit 32 Jahren aber fußballerisch in den Augen von 53 Prozent der „Sport-Bild“-Leser schon über den Zenit. Und im Team der Bayern ein Fremdkörper.
Als es beim Heimspiel gegen den Tabellenletzten SC Freiburg zur Pause noch 0:0 stand, wechselte Trapattoni den Sturmtank Carsten Jancker ein und degradierte Klinsmann zum Linksaußen. Worauf sich Trainer und Star anbrüllten.
In der 80. Minute trieb es „Trap“ auf die Spitze und ersetzte Klinsmann durch den Amateur Lakies. Das war eine hochgradige Demütigung. Klinsmann verließ den Platz im Stechschritt und trat mit voller Wucht ein Loch in eine mannshohe Werbetonne des Batterie-Herstellers Sanyo.
Jahre später gab er zu, sich eine heftige Schürfwunde geholt zu haben. Schließlich bestimmten Metallverstrebungen und lange Nägel das Innenleben der Tonne. Trotzdem gab es ein Happy End. „Sanyo“ bedankte sich bei dem Schwaben für die Gratiswerbung mit einem Präsentkorb voller Batterien. Und Jahre später ersteigerte ein Stuttgarter Feinkosthändler die ramponierte Tonne für 3000 Euro. Das Geld kam schließlich der Klinsmann-Stiftung für notleidende Kinder zugute.
Es geht eben nichts über cleveres Marketing. Das wissen wir spätestens seit „Waldi“ Hartmann einen Werbevertrag mit der „Paulaner“ Brauerei bekam, weil ihn Rudi Völler beim legendären Wut-Interview nach einem 0:0 auf Island bezichtigt hatte, vor dem Rededuell zwei, drei „Weizen“ getrunken zu haben.
Ums mit Dieter Thomas Heck zu sagen: Thomas Tuchel ist am Dienstag in der Hitparade der Bayern-Tritte von null auf zwei gesprungen. Der Grund liegt auf der Hand. Er will auf keinen Fall das größte Münchner Missverständnis seit Jürgen Klinsmann sein. Diesen Triumph gönnt er seinem schärfsten Kritiker Didi Hamann nicht. Das darf dann schon mal den großen Onkel kosten...