Der Horror von Heidenheim ist noch omnipräsent: Sichtschutzplane im Strafraum, dahinter der bewusstlose FCH-Keeper Kevin Müller. In die gespenstische Stille hinein starteten die Fans aufmunternde Sprechchöre – und sofort stimmten Bochums Anhänger in die „Kevin-Müller“-Rufe ein. Immer wieder. Minutenlang. Das war eine der stärksten Szenen dieser Saison. Mitten im beinharten Abstiegskampf.
Der Ton macht die Musik.
Diese Erkenntnis ist so alt, dass sie in den Phrasenschweinen längst Rost angesetzt hat. Und doch ist sie brandaktuell.
Der VfL Bochum, der die Bundesliga zum siebten Mal verlassen muss, hat noch ein weiteres leuchtendes Beispiel gegeben. Nach dem K.o. im letzten Heimspiel gegen Mainz gab es weder schwarzen Rauch noch Böller oder Aggressionen. Am absoluten Tiefpunkt reagierten die Fans mit einer Liebeserklärung und sangen: „Zweite Liga tut schon weh, scheißegal, Bochum olé!“
Die „Bild“-Zeitung nannte das den „erstklassigsten Abstieg aller Zeiten“.
Auch Holstein Kiel, das den VfL in die Zweitklassigkeit begleiten muss, wurde vom Publikum mit Ovationen verabschiedet. Und die Spieler des SC Freiburg, die den Gnadenstoß versetzten, standen erst Spalier für die Absteiger, ehe sie zu ihren mitgereisten Fans gingen, um die Qualifikation für die Europa League zu feiern.
Alles eine Frage der Haltung und des Respekts. Leider macht der Zeitgeist oft einen großen Bogen darum.
Was sich besonders beim Umgangston in der Politik zeigt. „Im Gegensatz zum Sport werden Fouls dort nicht geahndet“, beschreibt Bayerns Ministerpräsident Söder süffisant den Unterschied. Was aber für ihn und seine CSU-Spezies keinen Persilschein bedeutet, speziell am Aschermittwoch auf Robert Habeck und dessen Grüne einzudreschen, als wären sie ein Sack voll Getreide.
Doch das sind Peanuts im Vergleich zu dem, was der verrohte Haufen der AfD in den Parlamenten anbietet. Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern beschwerte sich kürzlich der an Parkinson erkrankte Linken-Politiker Bruhn bitterlich, dass zwei Abgeordnete aus dem rechtsextremistischen Lager seine zitternde Hand nachgeäfft hätten. Dieser Vorfall bedarf keiner Kommentierung.
Dass es ganz anders geht, zeigte die neue Wirtschaftsministerin Katharina Reiche, die ihrem Vorgänger Hochachtung erwies und Habeck für eine „fast übermenschliche Leistung zu Beginn des Ukraine-Krieges“ lobte.
Manchmal aber sagen Taten mehr als Worte. So wie bei Leroy Sané. Da bettelte der 29-Jährige, dessen Leistungen seit Jahren mehr schwankend als genial sind, wochenlang um einen neuen Vertrag beim FC Bayern. Und just in dem Moment, als die Sache verhandelt schien, wechselt er den Berater. Der als Raffzahn bekannte Pini Zahavi verlangt nun zwei Millionen Euro mehr im Jahr plus fünf Millionen Unterschriftsgebühr. Sané wird schon sehen, was er davon hat.
Dass Thomas Müller das Herz am rechten Fleck hat, wird kaum einer bezweifeln. Sein mit der Meisterschale dekorierter Abgang nach 25 Jahren „Mia san mia“ geriet erwartungsgemäß zum Rührstück erster Klasse. Allein der Witz, den er zum Abschied übers Stadionmikro losließ, verrutschte ihm. Er ging so: „Vater liegt im Sterben, Mutter backt seinen Lieblingskuchen. Er schickt den Sohn und bittet um ein letztes Stück. Doch Mutter sagt, der Kuchen sei für nach der Beerdigung.“
Deuten wir’s mal vornehm: Auch bei Bayern gibt es ein Leben nach Thomas Müller ...