Der König hat den Kaiser verloren

Genau genommen hat der Begriff „Lichtgestalt“ eine rein göttliche Dimension. Was irdische Sphären betrifft, empfiehlt sich eine Reduzierung auf Figuren mit Strahlkraft. In dieser Hinsicht hat das Jahr 2024 verlustreich begonnen.

Am 5. Januar wurde Wolfgang Schäuble zu Grabe getragen. Zwei Tage später starb Franz Beckenbauer.

Sein blitzgescheiter Verstand und sein enormes Wissen um die Zusammenhänge des Weltgeschehens haben dazu geführt, dass sich viele Menschen bei Schäuble aufgehoben fühlten im Dschungel des oft schmutzigen Politikgeschäftes.

Beckenbauer machten seine unerreichte Eleganz am Ball und die Leichtigkeit, mit der er die Dinge aus dem Ärmel schüttelte, zum letzten deutschen Kaiser – weit über den Fußball hinaus. Sinnbildlich dafür steht das Torwandschießen im ZDF-Sportstudio am 7. Mai 1994, als Beckenbauer bei der Meisterfeier des FC Bayern den Ball von einem Weizenbierglas aus rechts unten versenkte.

Manchmal schien ihm alles zu gelingen. „Solange der Franz drin sitzt, stürzt kein Flieger ab“, beruhigte einst sein Manager Robert Schwan den jungen Bild-Reporter Hinko, den Flug­angst plagte.

Aber es war nicht nur das. „Wenn Beckenbauer einen Raum betrat, hat der Raum geleuchtet“, sagt der aktuelle Bundestrainer Nagelsmann.

Gleichzeitig bewahrte sich der „Kaiser“ eine Nahbarkeit, die der Erziehung seiner Mutter Antonie gutgeschrieben wird – damals im zerbombten Münchner Stadtteil Giesing. Edgar Schmitt, als Euro-Eddie einst ein vogelwilder Stürmer des KSC, erlebte das so: „Bei einer Begegnung im VIP-Raum sagte ich voller Ehrfurcht: Herr Beckenbauer, schön, dass ich Sie treffen darf.“ Der entgegnete: „Edgar, im Fußball gibt’s kein Sie – ich bin der Franz!“ Schmitt antwortete: „Danke – Herr Beckenbauer.“

Der „Kaiser“ konnte auch ein richtiger Firlefranz sein. Als um den Bau der Allianz Arena noch heftig gestritten wurde, lautete sein Diskussionsbeitrag: „Es wird sich doch ein Terrorist finden, der das Olympiastadion wegsprengt.“ Was den Fußball angeht, ist diese Einschätzung überliefert: „Es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg, Unentschieden oder Niederlage.“ Bei all dem hat es nicht an Selbsteinsicht gefehlt: „Ich habe nie eine große Rede gehalten“, sagte der Beckenbauer über den Franz, „ich habe immer nur gesagt, was mir gerade eingefallen ist.“

Egal, die Leute haben ihm alles verziehen. Mit einem Lächeln im Gesicht.

„König Fußball hat seinen Kaiser verloren“, stellte Tagesthemen-Moderator Zamperoni fest. Jetzt droht gähnende Leere. Jürgen Klopp ist der Einzige, der die Lücke füllen könnte. Auf seine Weise. Vielleicht noch „Schweini" – in Ansätzen. Aber dann...?

Im Schatten des großen Bruders Fußball dürstet der Handball nach Aufmerksamkeit und Strahlkraft. Einen „Kaiser“ gab’s nie. Höchstens einen zweifelhaften König. Doch nach dem WM-Wunder von 1978 stellte sich heraus, dass unter der Pappkrone von Magier Stenzel viel falscher Zauber steckte.

Seither ist Flaute. Okay: Stefan Kretzschmar polarisierte mit Tattoos, seinem Lebensstil und Franzi van Almsick. Aber heute? Der verrückte Wolff im Tor macht was her, zumal er sogar Beckenbauers (Fußball)-Weisheit widerlegt: „Aus dem Mund eines Torhüters ist selten ein vernünftiger Satz gekommen.“ Regisseur Juri Knorr ist ein sehr guter Spieler mit außergewöhnlicher Frisur. Mehr noch nicht.

Bei der EM im eigenen Land geht es um den Durchbruch – in jeder Hinsicht. Wenn nicht jetzt, wann dann?
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