German Gigolo

Eine Kolumne von Oskar Beck:

Wer Probleme mit dem Altern hat oder sich sogar schon wie ein Scheintoter fühlt, sollte jetzt unbedingt weiterlesen. Denn aus Südtirol erreicht uns die Nachricht: Henning Fritz kehrt  ins Handballtor zurück - beim SSV Bozen, erste italienische Liga.

Er ist 49.

Früher war er der beste Torwart der Welt, aber das ist verdammt lange her. Fritz  hatte deshalb zunächst große Zweifel, ob er die Bälle noch rechtzeitig kommen sieht. Aber die Südtiroler, erzählt der alte deutsche Panther zwischen den Pfosten, "waren hartnäckig." Also hat er ihnen zugesagt und vertritt den Bozener Stammtorwart, der im Januar beim Afrika-Cup weilt. Ist der alte Fritz noch in Schuss?  Böse Zungen schütteln den Kopf und tun gerade so, als ob er mittlerweile ein seniler Tatterich ist, der ohne Brille die Balkenüberschriften in der "Bild"-Zeitung nicht mehr lesen kann.

Bissige Skeptiker wie diese gibt es nur im Sport. Der Rest der Gesellschaft ist froh über jeden alten, weißen Mann, der den Laden noch halbwegs zusammenhält, und drückt notfalls beide Augen zu. Joe Biden beispielsweise ist 81 und als einer der mächtigsten Männer der Welt unumstritten, obwohl er  gelegentlich über einen Teppich stolpert und alle Viere von sich streckt, flach wie eine Flunder. Und falls der 77jährige Donald Trump nochmal US-Präsident wird, kann es gut sein, dass er im Garten des Weißen Hauses irgendwann an der Leine eine Zahnbürste hinter sich herzieht und behauptet, das sei sein Hündchen. Aber seine Anhänger werden es ihm glauben, sie schwören auf die Weisheit des Alters. Diese Faszination ist beeindruckend, auch in der Musik. Nach einem Konzert der Rolling Stones schwärmte ein Kritiker über den neuerdings 80jährigen Keith  Richards, er komme daher "wie eine aus dem Koma erwachte Schildkröte, der man eine Gitarre in die Hand drückt".

Nur im Sport wird gebruddelt.

Andre Agassi hat sich darüber einmal bitter beklagt. Mitte 30 war er im Tennis immer noch Spitze, aber ständig wollten die Reporter von ihm wissen, wann er den Schläger endlich an die Wand zu hängen gedenke. Noch heute bedauert Agassi, nie zurückgefragt zu haben: "Und wann hören Sie mit dem Schreiben auf?"

Zugegeben, der Vergleich hinkt, denn der Journalismus gehört zu den Berufen, die man bis ins hohe Alter auf zwei Arschbacken ausüben kann. Auch der Papst ist Papst, bis er umkippt, Adenauer ließ sich noch mit  87 jeden Morgen ins Bundeskanzleramt geleiten, und Frank Sinatra erntete mit 80 für das bloße Anzünden seiner Zigarette auf der Bühne noch stehende Ovationen, bis zum letzten Lungenzug.

Sportler haben dieses Glück nicht. Brutal werden sie heimgesucht vom schleichenden Verfall der Körperfunktionen, beginnend mit dem Muskelschwund ab 30, dem Steigen des Blutdrucks ab 30, dem Nachlassen des Lungenvolumens mit 35 und einer Lesebrille mit 40. Alles weitere hat Phil Taylor, die Legende des Dartpfeilwerfens, mit Anfang 50 erzählt - auf die Frage, ob ihm die Mädels immer noch auf die Pelle rücken, antwortete er damals untröstlich: "Meine Groupies werden alt, viele haben schon keine Zähne mehr."

Auch Henning Fritz ist jetzt in diesem gefährlichen Alter. Er war alles, Weltmeister,  Europameister, Deutscher Meister. Champions-League-Sieger, Olympiazweiter und Welthandballer, aber das war 2004. Deshalb hat er lange gegrübelt, ehe er ja sagte und dem SSV Bozen schließlich Mut zusprach mit dem Satz: "Es ist nicht so wichtig, wie hoch ich das Bein noch kriege." Soll heißen: Wo die Jungen schnell mal die Nerven verlieren, macht es eine alte Kanone mit der Routine.

Was das ist, weiß der Kolumnist hier dank Angelo Dundee. Der war in der Ecke  von Muhammad Ali einst der größte Trainer der Welt, und in seinem Boxschuppen in Miami hat er mir diese Eiseskälte am besten Beispiel erklärt. Dundee deutete auf ein Foto an der Wand, das seinen zweitbesten Schützling George Foreman zeigte. Der boxte einmal gegen Michael Moorer, und Foreman bewegte sich wie ein alter Sack, die Reflexe und Füße ließen ihn im Stich, haushoch lag er hinten, und als er auch noch wie ein Flusspferd schnaubte und reif war fürs Sauerstoffzelt, schickte ihn Dundee mit dem Rat in die letzte Runde: „Du musst ihn jetzt flachlegen, Junge.“ Big George nickte, schleppte sich ein letztes Mal in die Ringmitte, schüttelte seine eingerostete rechte Gerade an Moorers Kinn - und war im nächsten Moment mit 45 der älteste Schwergewichtsweltmeister aller Zeiten.

Warum soll also der alte Fritz nicht mit 49 nochmal Torwart werden? Schon vor drei Jahren hat er kurz einmal ausgeholfen, bei der SG Flensburg-Handewitt, in der Bundesliga. Auch dort fiel der Torwart aus, sie riefen in ihrer Verzweiflung Fritz an, und der hat sich auf Anhieb bewährt als "Mann für gewisse Stunden". Es gibt einen gleichnamigen Hollywoodthriller mit Richard Gere, der darin einen Edel-Callboy spielt, "American Gigolo" heißt der Film in der Urfassung. Als die Bozener jetzt bei Fritz anriefen, hat der German Gigolo auch sie erhört.

Wie fit ist Henning Fritz? Ist auch er immer noch großes Kino?  Wie hoch kriegt er das Bein noch? Hat er das Verfallsdatum überschritten? Wenn er Politiker, Schauspieler, Kunstmaler oder Sänger wäre, müsste man sich ob seiner Leistungskraft keine Sorgen machen. Mit Karamba und Karacho hat beispielsweise der Volksmusikbarde Heino noch an seinem 70. Geburtstag in "Bild" balkenhoch mit den Fingern geschnalzt („Dreimal Sex die Woche, ohne Viagra!“),  Michelangelo bemalte noch mit cirka 80  die Decke der Sixtinischen Kapelle, statt den Pinsel wegzulegen, und Charly Chaplin hatte als Clown dermaßen Spaß, dass er mit 73 nochmal Vater wurde.

Der Unverwüstlichste ist und bleibt allerdings Johannes („Jopi") Heesters, der große Mime. Jeder normale Mensch über Hundert denkt langsam darüber nach, ob er sich einen Sarg aus Mahagoni, Kiefer oder Sperrholz wünscht, aber Jopi hatte dafür keine Zeit, gestützt auf kräftige Helfer erklomm er lieber weiter jede Bühne und spielte bravourös seinen Part. Bis dann eines Tages ein holländischer  Fernsehmann den Heesters zu Adolf Hitler befragte und die Antwort bekam: „Ein Kerl war er, ein guter Kerl.“

Seither ist klar: Mit 108 sollte man aufhören. Aber, wie gesagt, Henning Fritz ist erst 49.

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