Wo vor vielen Jahrzehnten ganze Schulklassen beim Sport schwitzten, ging es am Montagabend weit gediegener zu. Die Präsentation des Buches „Blut am Saxophon“ von Thomas Kastler wurde im Offenburger Schillersaal zum „Familientreffen“. Ob auf der Bühne oder im Publikum – so viel Ortenauer Sportprominenz auf einem Fleck war wahrscheinlich nie zuvor in Offenburg anzutreffen. Auch viele Sportfans waren zur Lesung gekommen, oder auch nur, „um zu sehen, wie der Schobel und der Ehret heute aussehen“, schmunzelte Kastler.
Es sind Geschichten mit Emotionen und Leidenschaft, die der langjährige Sportchef der Mittelbadischen Presse in 14 Kapiteln aufgeschrieben hat. „Mit vielen Details, die noch nicht veröffentlicht worden sind“, wie er im Interview mit Moderator Frank Dickerhof erklärte.
Einige lieferten die Handballer, die von Mitte der 1970er-Jahre bis zur Jahrtausendwende in der 1. Bundesliga spielten. Als Kastler die Passage über den Sprung in die Freiheit von Simon Schobel vorlas, war die Gänsehaut im Schillersaal förmlich zu spüren. Der charismatische Handballer, der bis dahin in Cluj (Rumänien) spielte, legte mit seiner Flucht und seinem anschließenden Wechsel zum TuS Hofweier den Grundstein der erfolgreichen Handball-Ära, in die sich später der TuS Schutterwald und der TV Willstätt einfügten. „Simi hat ein Feuer entfacht. Ohne ihn wären wir alle nicht hier“, sagte Armin Emrich stellvertretend für seine Handball-Kollegen auf der Bühne.
Als Handball-Weltmeister waren 1978 Arno Ehret und Arnulf Meffle heimgekehrt und berichteten nun von der ganz speziellen Vorbereitung durch „Magier“ Vlado Stenzel. Der damalige Bundestrainer hätte eine „rustikal pädagogische Art“ gehabt, so Ehret, und seinen Spielern vor dem WM-Finale im Grunde nur einen Satz mit auf den Weg gegeben: „Mag ich kein Silber, holen wir Gold.“
Stenzel hatte ein Jahr zuvor dem jungen Meffle auch einen Wechsel in die Bundesliga nahegelegt. Für den Schutterwälder war klar: „Hofweier geht nicht. Das ist ja Ausland.“ Der Heimattreue zuliebe ist er dann doch dort gelandet. „Meine Mutter war zwei Tage neben der Spur. Mein Vater sagte: ‚Wenn’s sein muss.‘“
Den großen Triumph seines ehemaligen Vereinskollegen hat Martin Heuberger damals verfolgt. „Es war Fasnachtssonntag, und ich habe das Finale nach dem Umzug mit Freunden geschaut.“ Damals habe er sich gesagt: Weltmeister will ich auch mal werden. „Als Spieler habe ich es nicht geschafft, als Trainer schon.“
Für Wehmut im Saal sorgte Helmut Hilzinger, einer der Väter des Erfolges des TV Willstätt. Der langjährige Hauptsponsor bekannte: „Wir sind zu schnell von der Regionalliga in die 1. Bundesliga aufgestiegen.“ Dem erfolgreichen Fensterbauer stand die Enttäuschung über das Ende des Bundesliga-Handballs in der Ortenau noch immer ins Gesicht geschrieben. „Wir hatten die Zuschauer hinter das Projekt 1. Bundesliga gebracht, doch wir haben es nicht geschafft, die wirtschaftliche Region hinter das Projekt zu bringen. Am Schluss haben drei Männer die Zeche bezahlt.“ Hilzinger selbst sowie seine Mitstreiter Rainer Lusch und Günter Geiser.
Wagner mit der Schale
Der erfolgreichste Fußballer der Region ist Martin Wagner, der zur Freude der Menschen im Saal auch ein Duplikat der Meisterschale mitgebracht hatte, die er mit dem 1. FC Kaiserslautern gewann und am Montag begehrtes Fotomotiv war. Der Offenburger sorgte für Lacher, als er von der „demokratischen Diktatur“ unter Erfolgscoach Otto Rehhagel erzählte. „Ihr könnt sagen, was Ihr wollt. Doch Ihr müsst machen, was ich will“, hätten die Spieler oft von „König Otto“ gehört – oder: „Als Sportler kritisiere ich Sie, als Mensch sind Sie mir heilig.“
Die Einzelsportler Christina Obergföll, Johannes Vetter und Holger Kimmig rundeten einen überaus unterhaltsamen Abend ab, der von Claudio Versace und Tochter Melissa musikalisch umrahmt worden ist. Die Speerwurf-Weltmeisterin berichtete dabei, wie es zur Wette um den Nachnamen ihres künftigen Ehemannes Boris Henry kam. Irgendwann hätte sie im Spaß gesagt: „Wenn ich einmal Gold gewinne, würde ich gerne meinen Namen behalten.“ Als es dann tatsächlich so weit war, „war der Namenswechsel für die Öffentlichkeit spannender als meine Goldmedaille“.
Die hat Speer-Kollege Johannes Vetter 2017 unter besonderen Umständen in London geholt. Seine schwer an einem Gehirntumor erkrankte Mutter war am Finaltag aus dem Krankenhaus entlassen worden, sein Vater war in Tränen aufgelöst im Stadion. „Es war für uns als Familie eine Achterbahn.“ Dass er seit rund drei Jahren immer wieder durch Verletzungen ausgebremst wird, nimmt der deutsche Rekordhalter äußerlich gelassen. „Leistungssport geht auf die Knochen“, stellte er nüchtern fest und lieferte den Spruch des Abends in Richtung der Handball-Helden. „Bei allem Respekt. Ihr seid eben auch nicht sehr sportlich auf die Bühne gelaufen.“
Emotional wurde es, als Kastler aus seinem Buch die Passage vorlas, die dem Leben von Holger Kimmig eine Wende geben sollte. Als Elfjähriger war er auf dem Fahrrad von einem Lkw überrollt worden. „Sport war danach der Anker in meinem Leben“, erzählte der Schwimmer, der bei Paralympischen Spielen 15 Medaillen sammeln konnte. Auf Bewunderung, wie er mit nur einem Bein durchs Leben gehe, antwortet der 49-Jährige immer wieder: „Wie sonst?“ Denn, so Kimmig, „man muss nach vorne gucken“.
In „Blut am Saxophon“ geht es um die Vergangenheit, die nicht nur Arno Ehret in Erinnerungen schwelgen lässt. „Das Lesen hat mich zurück katapultiert in alten Zeiten“, bekannte der Wahl-Schweizer am Abend.
Info: „Blut am Saxophon“ (ISBN 978-3-00-079687-6) kostet 24 Euro und kann über www.thomas-kastler.de oder im Buchhandel erworben werden. Der Reinerlös fließt in ein Hilfsprojekt in der Ukraine.